Gogol, gogolplex, perplex - das Universum der Doppelgänger...


Haben Sie gewusst, dass sich der Begriff „Google“ von dem Wort „googol“, einer speziellen Wortschöpfung für eine Zahl mit 100 Nullen (d. h. 10^100), ableitet? Damit lassen sich übrigens leicht weitere Potenzen bilden, z. B. 10^(10^100) - das Gogolplex, oder 10^(10^(10^100)) das Gogolplexplex. 

Übrigens, es gibt keinen einzigen Computer auf der Welt, der in der Lage wäre, irgendeine Zahl, die im Gogolplex-Bereich liegt, überhaupt Ziffer für Ziffer abzuspeichern (und es wird auch niemals einen geben). Und noch etwas, im "überschaubaren Kosmos" gibt es lediglich etwa 10^80 Protonen, d. h. eine Anzahl, die winzig klein ist gegenüber einem Gogol oder erst recht einem Gogolplex…

Doch was bedeutet „überschaubares Universum“? Gibt es Teile des Universums, die von uns nicht „überschaubar“ sind? Und hier wird es kompliziert, da der kosmische Raum sich über drei räumliche und eine zeitliche Dimension erstreckt. Die „Raumzeit“ kann nämlich „gekrümmt“ sein ähnlich wie eine zweidimensionale Fläche „gekrümmt“ sein kann. Ich will das hier nicht näher ausführen, obwohl es mir bei diesem Thema in den Fingern juckt. Nur so viel: Wie Albert Einstein 1915 in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie zeigen konnte, sind die „geradesten“ Linien, die zwei „Ereignisse“ (gegeben durch drei Raumkoordinaten und einen Zeitpunkt) miteinander verbinden können, „Geodäten“, entlang der man sich kräftefrei bewegen kann. Lichtstrahlen folgen im Vakuum beispielsweise einem solchen Weg. So ist ein statischer Raum denkbar, der ähnlich gekrümmt ist wie die Oberfläche einer Kugel. In solch einem Raum positiver Krümmung würde nach endlicher Zeit ein geradeaus ausgesandter Lichtstrahl nach einer „Umrundung“ an seinen Ausgangspunkt (quasi rücklings!) zurückkehren. Solch ein Raum wäre endlich (wie die endliche Oberfläche einer Kugel), aber ohne Grenzen (wie die Oberfläche einer Kugel). Es gibt aber auch Räume mit negativer Krümmung. Sie sind der Oberfläche einer Pseudosphäre analog (ein Ausschnitt sieht so etwa aus wie eine Sattelfläche) und genauso wie der flache „euklidische Raum“ unserer Erfahrung unendlich ausgedehnt. 

Doch was „krümmt“ nun diesen kosmischen Raum (genauer die Raumzeit)? Es ist die im Raum verteilte Energie in Form von Masse (Sterne, Galaxien) und Impuls. Die Frage nach der Geometrie des kosmischen Raumes ist deshalb im Wesentlichen eine Frage nach der Menge und Verteilung der Galaxien, die in ihm enthalten sind und muss deshalb durch Beobachtungen bestimmt werden. 

Der kosmische Raum hat aber noch eine unerwartete Eigenschaft, er expandiert nämlich. Man erkennt das daran, dass sich alle Galaxien von uns entfernen, und zwar umso schneller, je weiter sie von uns entfernt sind. Das ist ähnlich wie mit gleichmäßig verteilten Rosinen im Hefeteig eines Rosinenkuchens, der langsam „aufgeht“. Oder als zweidimensionales Analogon: Man male auf einem Luftballon gleichmäßig Punkte, welche Galaxien darstellen sollen. Bläst man ihn nun auf und stellt man sich als „Beobachter“ auf einem dieser Punkte vor, dann kann man auch hier beobachten, wie sich alle anderen entfernen - und zwar umso schneller, je weiter sie vom Punkt des Beobachters entfernt sind. Dieser Effekt, wieder auf den Kosmos übertragen, wird durch eine einfache Gesetzmäßigkeit beschrieben, die man das „Hubble-Gesetz“ nennt und welches eine Verbindung der Fluchtgeschwindigkeit der Galaxien (die man anhand der Rotverschiebung ihrer Spektrallinien messen kann) und ihrer Entfernung herstellt. 

Er impliziert, dass in der Vergangenheit einmal alle Entfernungen zwischen den Galaxien geringer waren als heute und dass man diese „Expansion“ - rückwärts betrachtet - bis zu einem singulären Punkt zurückverfolgen kann, den man gewöhnlich als „Urknall“ oder Big Bang bezeichnet. Mittlerweile weiß man sogar, dass dieser „Big Bang“ vor ziemlich genau 13,798 Milliarden Jahren stattgefunden hat. Und genau dieser Umstand begrenzt für uns den Kosmos auf einen quasi endlichen Bereich, der durch einen Horizont begrenzt wird und der sich mit der Zeit immer weiter weg von uns verschiebt. Der Grund liegt in der Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit, was bedeutet, dass ein Lichtstrahl in 13,798 Milliarden Jahren auch nur eine Strecke von 13,798 Milliarden Lichtjahren durchlaufen kann. Aber in Wirklichkeit ist der „Horizont“ aufgrund der Expansion des Weltalls noch um einiges größer (es hat sich ja während der Lichtlaufzeit weiter ausgedehnt). Man schätzt den Durchmesser dieses als „Hubble-Blase“ bezeichneten für uns zumindest prinzipiell überschaubaren Raumbereichs auf ca. 93 Milliarden Lichtjahre. Das ist das für uns „sichtbare Universum“. Und da es keinen „Mittelpunkt“ des Weltalls gibt, hat jede Galaxie ihre eigene Hubble-Blase. Auf diese Weise kann das Weltall wirklich unendlich groß sein und es ist eine gute Arbeitshypothese anzunehmen, dass es darin auch überall ähnlich aussieht (bei gleichem Weltalter sind ja auch alle Galaxien zeitlich gesehen gleichweit vom Urknall entfernt) - und zwar auch außerhalb unserer eigenen Hubble-Blase. In unserem zwar „endlichen“, aber unbegrenzten Luftballonmodell bedeutet das, dass seine Oberfläche relativ gleichmäßig mit „Galaxienpunkten“ belegt ist und es um jede Galaxie herum eine kreisförmige „Lichtfront“ gibt, welche den jeweiligen Horizont angibt und die sich mit Lichtgeschwindigkeit immer weiter in den kosmischen Raum hineinarbeitet und auf diese Weise immer mehr Galaxienpunkte in ihren Gesichtskreis geraten. Bläst man jetzt den Luftballon auf, dann lässt sich damit die kosmische Expansion simulieren und man erkennt, dass die Entfernung zum Horizont schneller anwächst als sich rein aus der Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit ergibt. Für die weitere Argumentation ist es hier aber nur wichtig zu verstehen, dass es hinter dem Horizont weiter geht - vielleicht sogar bis ins Unendliche.

Und das führt zu einigen interessanten Konsequenzen, die darin begründet liegen, dass jeder Teil des Raumes (z. B. der Inhalt unserer Hubble-Blase) selbst endlich und jede endliche Zahl bekanntlich winzig klein gegenüber „Unendlich“ ist (und zwar unabhängig von ihrer Größe - selbst ein Gogolplexplexplexplexplex ist << Unendlich). Physikalisch gesprochen, lässt sich weiterhin jedes endliche Volumen durch die Anzahl der darin realisierbaren Quantenzustände beschreiben. Diese Zahl ist riesengroß, da man dabei auch alle möglichen Kombinationen berücksichtigen muss. Aber sie ist endlich und damit immer noch winzig klein gegenüber Unendlich. Um das etwas anschaulicher zu machen, stellen Sie sich ein riesiges Schachbrett vor, welches aus lückenlos aneinandergereihten 8x8 –Spielfeldern besteht. Auf jedem dieser Spielfelder sind 0 bis 32 Spielfiguren völlig zufällig (quasi ausgewürfelt) angeordnet. Nun können Sie sich die Frage stellen, wie weit muss man sich maximal von einem zufällig ausgewählten 64-Felder-Spielfeld wegbewegen, bis ich zu 100% sicher wieder ein 64-Felder-Spielfeld mit der identischen Figurenanordnung finde (Übungsaufgabe). Und was für das Schachbrett mit seinen Figuren gilt, gilt auch für die Quantenzustände in einem Volumen von der Größe der Hubble-Blase, welches „unser“ Universum darstellt. Also wo findet man im unendlichen (oder genügend großen, sollte es endlich sein) Kosmos wieder einen Raumbereich von der Größe einer Hubble-Blase, dessen Quantenzustand mit dem unsrigen ununterscheidbar ist? Eine entsprechende Überschlagsrechnung verrät es uns: etwas mehr als ein Gogolplex Meter (~10^(10^120 ) Meter). Und was bedeutet das? Es bedeutet, dass in dieser Entfernung eine Welt zu erwarten ist, die sich in nichts von unserer unterscheidet. Dort sitzt ein Alter Ego von Ihnen, der mit Ihnen, lieber Leser vollkommen identisch ist, mit der gleichen Lebensgeschichte und den gleichen Erinnerungen, und liest diese Zeilen aus einem diesem Buch völlig identischem Buch. Verrückt, nicht wahr? Und in einem unendlich großen Universum mit den genannten Eigenschaften gibt es wieder unendlich viele Doppelgänger von uns allen – und nicht nur völlig identische, sondern auch in allen denkbaren Abweichungen. 

Die Wiederholung unserer Hubble-Blase ist natürlich eine Maximalforderung. Einen „Doppelgänger“ sollte man schon um einiges näher finden. So sollte sich ein Raumbereich mit einem Radius von 100 Lichtjahren in identischer Ausführung bereits in ca. 10^(10^92 ) Meter finden lassen. Und da ein Mensch noch um einiges kleiner ist, kann man einen perfekten Doppelgänger von ihm bereits in schlappen 10^(10^28 ) Meter Entfernung erwarten. Aber das ist immer noch weit, weit hinter dem Horizont… 

Das Universum besteht nach diesen Überlegungen aus unendlich vielen „Hubble-Blasen“, die sich überschneiden und in ihrer Gesamtheit ein unendliches (oder sehr großes, wenn endliches) Multiversum bilden. Der Physiker Max Tegmark, der sich mit diesem Gegenstand ausführlich auseinandergesetzt hat, spricht in diesem Fall von einem Multiversum der Ebene 1. 

Denn die Wissenschaft hat in dieser Beziehung noch einiges mehr zu bieten. So ist es weiterhin ein Rätsel, wie es überhaupt zu so etwas wie einen „Urknall“ kommen konnte. Eine wichtige Entdeckung war in diesem Zusammenhang, dass es kurz nach dem ominösen Zeitpunkt Null (so ungefähr zwischen 10^(-35) und 10^(-30) Sekunden nach dem eigentlichen Urknall) zu einem enormen „Aufblähen“ des Raumes gekommen ist, den man „Inflation“ nennt. Sie beantwortet die Frage, warum das Universum so groß, so gleichförmig und so flach ist. Eine rapide Raumdehnung vermag nämlich diese und andere, ansonsten rätselhafte Eigenschaften auf einen Streich zu erklären. Da sie auch durch beobachtbare Implikationen gestützt wird, ist die kosmische Inflationsphase mittlerweile ein fester Bestandteil einer jeden Urknalltheorie. Man erkauft sich das aber – wenn man weiter denkt – durch andere Absonderlichkeiten. So wird beispielsweise in der Theorie der „ewigen chaotischen Inflation“ die Existenz und fortwährende Bildung neuer, parallel nebeneinander existierender Universen der Ebene 1 postuliert. In jedem dieser Universen – manche bestehen ewig, viele andere kollabieren sofort wieder – gelten andere Werte für die grundlegenden Naturkonstanten und nur in denen, wo sie zufällig Werte annehmen, die die Entstehung lebender Materie erlaubt, gibt es auch Beobachter. Und auch hier gibt es dann Universen (diesmal „Universen“ die Multiversen der Ebene 2 bilden), die unserem ähneln oder weitgehend gleichen und in denen es auch wiederum Doppelgänger von uns gibt. Und diese Universen, welche die Theorie vorhersagt, sind aus dem inneren unseres Universums heraus prinzipiell nicht einmal mehr nachweisbar. Noch verrückter, nicht wahr? Immer dort, wo empirische Daten fehlen oder nur schwer zu beschaffen sind oder man noch nicht einmal weiß, nach was man forschen soll, gedeihen verrückte Ideen und Theorien. Die Frage ist nur – und Niels Bohr stellte sie einst im Zusammenhang mit der Quantentheorie - ob die Idee oder Theorie wirklich auch verrückt genug ist, um wahr zu sein. Letztendlich entscheidet aber die Beobachtung oder das Experiment, ob eine Naturbeschreibung richtig oder falsch ist und nicht die Meinung eines Wissenschaftlers...

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