Lolita, Hobby-Insektenkundler und die Taxonomen...


Als Taxonomen bezeichnet man Biologen, die u. a. für die Beschreibung und Benennung neuer Arten verantwortlich sind. Moderne Taxonomen müssen dazu die zu bearbeitenden Organismen sehr gut kennen, auf umfangreiche Vergleichssammlungen zurückgreifen können und auch unbeschränkten Zugang zu alter und neuer Literatur ihres jeweiligen Fachgebietes haben. Kurz gesagt, der Beruf des Taxonomen ist im akademischen Umfeld angesiedelt und konzentriert sich deshalb in naturkundlichen Museen und im Umfeld universitärer Sammlungen. Leider ist es so, dass sich die Biologie im letzten halben Jahrhundert stark gewandelt und im Zuge dessen der Taxonom seine öffentliche Reputation gegenüber den Genetikern und Molekularbiologen stark eingebüßt hat. Das Problem ist nun, dass es heute für viele Tier- und Pflanzengruppen so gut wie keine Spezialisten mehr gibt, die sie eindeutig bestimmen können. Das betrifft besonders Organismen, deren Vielfalt eh kaum wahrgenommen wird (wie z. B. unter den Insekten die Aphidae, die „Blattflöhe“). Schmetterlinge und Käfer machen hier eine Ausnahme, da es hier sehr viele Laienforscher gibt, die in ihrer Expertise einem akademisch ausgebildeten Taxonomen kaum nachstehen. 

Schmetterlinge und Käfer zu sammeln war einst sehr populär. Insbesondere im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert konnte man diesem Schlag von Menschen oft in Wald und Flur begegnen („mit Botanisiertrommel und Schmetterlingsnetz“). Ihre in großer Mühe zusammengetragenen Sammlungen bilden heute die Bestände unserer musealen Schätze. 

Es gab eine ganze Anzahl berühmter Persönlichkeiten, die selbst umfangreiche Käfer- und Schmetterlingssammlungen zusammengetragen und auf diesen Gebieten wissenschaftlich gearbeitet haben. Beginnen wir mit einem begnadeten Schauspieler, der zu seinen Lebzeiten überaus bekannt und berühmt war: Ferdinand Ochsenheimer (1767-1822). Sein mehrbändiges Werk „Die Schmetterlinge Europas“, das er teilweise zusammen mit seinem Schauspielkollegen Georg Friedrich Treitschke verfasste, kann im Internet leicht in digitalisierter Form eingesehen werden und zeugt noch heute von dem außergewöhnlichen Fleiß und den außergewöhnlichen Kenntnissen dieses Lepidopterologen der ersten Stunde, der im Wiener Hoftheater ein gefeierter Charakterdarsteller war. Friedrich Schiller, der ihn 1801 als Talbot (dem Feldherrn der Engländer) in seinem Bühnenstück „Die Jungfrau von Orleans“ erleben durfte, war jedenfalls von ihm begeistert. 

Ein Kolepterologe (also ein Käferforscher) war der Schriftsteller und Philosoph Ernst Jünger (1895-1998). Den Literaturfreunden ist er vor allem durch seine Kriegstagebücher aus dem 1. Weltkrieg bekannt, die unter dem Titel „In Stahlgewittern“ im Jahre 1920 erschienen sind und großes Interesse hervorgerufen haben. Die Entomologen dagegen schätzen besonders seine Arbeiten auf dem Gebiet der Käferkunde (Kolepterologie). Ihm zu Ehren wurde z. B. ein Schwarzkäfer, der im arabischen Raum beheimatet ist, mit dem Namen Leptonychoides juengeri versehen. Über sein aufregendes Leben kann man sich am besten im Ernst-Jünger-Haus in Wilflingen informieren. Dort befindet sich auch seine umfangreiche Käfer- und Zikadensammlung, die er im Laufe seines langen Lebens zusammengetragen hat. Seit 1986 wird in Baden-Württemberg in einem Turnus von 3 Jahren der renommierte Ernst-Jünger-Preis für Entomologie verliehen, der auf seine Weise an den berühmten, aber auch umstrittenen Schriftsteller, Philosophen und Liebhaber-Entomologen erinnert. 

Ein anderer, zumindest unter den deutschen Schmetterlingssammlern bekannter Entomologe war Arno Bergmann (1882-1960), dessen Sammelgebiet den Thüringer Wald und den Kyffhäuser umfasste. Ihn interessierten besonders die Lebensgemeinschaften, das Wechselspiel zwischen der Pflanzenwelt und den dort lebenden Schmetterlingen, also das, was später im Begriff der Ökologie subsumiert wurde. Auch er hat ein großes Werk, „Die Großschmetterlinge Mitteldeutschlands“ hinterlassen. Fortleben wird er jedoch in einem anderen Begriff, in der „Bergmann-Serie“. Darunter versteht man eine fundamentale Serie von Spektrallinien von Alkalimetallen, die im infraroten Spektralbereich liegen und beispielsweise für die Astrophysik von Bedeutung sind. Arno Bergmann war nämlich abseits von seinem Hobby als Schmetterlingssammler promovierter Physiker und später Gymnasiallehrer. 

Ansonsten fallen mir noch folgende Insektenkundler ein, die meist ihr Hobby neben ihrem Beruf professionell ausgeübt haben: Arnold Spuler (1869-1937), Universitätsprofessor (Medizin) und Politiker der „Deutschnationalen Volkspartei; Lionel Walter Rothschild, 2. Baron Rothschild (1868-1937), Banker aus der Rothschild-Dynastie; der Autor des Kinsey-Reports, Alfred Charles Kinsey (1894-1956), Spezialist für Gallwespen. 

Und dann ist natürlich noch der berühmte Autor des seinerzeit äußerst skandalträchtigen Romans „Lolita“ (1955) zu nennen: Vladimir Nabokov (1899-1977). Der in Sankt Petersburg geborene und später in die USA ausgewanderte Schriftsteller gilt unter den Literaten als einer der einflussreichsten Erzähler des 20. Jahrhunderts und unter den Entomologen als einer der besten Kenner der amerikanischen Bläulinge, einer besonders artenreichen Familie von Tagschmetterlingen. Scherzhaft streiten sich noch heute einige Leute darüber, ob es in seinem Fall nicht besser gewesen wäre, er hätte ein paar Romane weniger geschrieben und dafür mehr über Bläulinge publiziert. Oder aber, ob er nicht lieber doch ein paar Romane mehr auf dem Niveau von „Lolita“ oder „Ada“ hätte verfassen sollen, als viel Zeit beim Untersuchen von Bläulingen und ihrer männlichen Geschlechtsorganen zu verbringen. Aber eins kann man auf jedem Fall konstatieren: wohlhabend ist Nabokow nur durch seine Schriftstellerei, und das auch erst in seinen späteren Jahren, geworden. Und dass er ein Schmetterlingsspezialist par excellence war, dürfte kaum einem Leser seiner Romane oder dem Publikum seiner Romanverfilmungen bekannt sein. 

Der erste, von dem berühmten Regisseur Stanley Kubrick (1928-1999) nach seiner Übersiedlung nach England gedrehte Film war übrigens „Lolita“, an dessen Drehbuch Vladimir Nabokov selbst noch mitgearbeitet hat. Die Aufgabe erwies sich dabei schwieriger, als man dachte, denn das literarische Werk war damals als „Pornographie“ verschrien (ein nicht unwesentlicher Faktor für dessen Popularität!) und man musste verdammt aufpassen, dass der Film am Ende nicht auf dem Index landet und mit einem Aufführverbot belegt wird. Aber diese Aufgabe wurde mit Bravour gelöst, was man u. a. daran erkennen kann, dass das Drehbuch im Jahre 1963 immerhin für den Oskar nominiert war. Was die Verfilmung betrifft (es geht darin wie im Roman um eine parthenophile Liebesbeziehung zwischen einem minderjährigen Mädchen und einem ca. 40-jährigen Mann), so ergab sich bei der Uraufführung ein gewisses Kuriosum, welches zu erwähnen sich durchaus lohnt. An der Seite von James Mason (1909-1984) als Humbert spielte die damals 15-jährige Sue Lyon die nymphomanische „Lolita“. Aufgrund der sehr restriktiv gehandhabten Altersfreigabe von Filmen durfte sie jedoch nicht bei der Uraufführung in den USA dabei sein - sie war einfach zu jung für einen derartigen „obszönen“ Streifen, deren eine Hauptrolle sie verkörperte...

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen