Erde - Planet der Bakterien

Unsere Erde ist biologisch gesehen ohne Zweifel ein Planet der Bakterien. Die erste Lebensform, die vor über 3,6 Milliarden Jahre auf der Erde entstand, war ein primitives Bakterium. Und auch das letzte Lebewesen, welches in ferner Zukunft die Epoche des Lebens auf der Erde beenden wird (weil die Sonne immer größer und heißer wird), wird nur noch ein Bakterium sein. Archaeen und Bakterien sind die Lebewesen auf der Erde, die sich am besten an extreme Lebensräume anpassen können. Einige von ihnen hätten sogar auf dem heutigen Mars eine gute Chance, über viele Generationen zu überleben. 

Wenn man näher über die Rolle der Bakterien auf dem Planeten Erde nachdenkt, umso mehr muss man zu dem Schluss kommen, dass nach allen vernünftigen Kriterien die Bakterien (genauer Prokaryonten) die vorherrschende Lebensform sind. Das betrifft auf jeden Fall die Anzahl ihrer Individuen als auch die in ihr konzentrierte Biomasse, die mindestens so groß ist, wie die Biomasse aller „Nichtbakterien“, also aller Tiere und Pflanzen zusammen, die gegenwärtig auf der Erde leben. Und auch der Mensch wäre ohne Bakterien nicht lebensfähig (und auch um einiges leichter). Hier sind vielleicht ein paar kaum zu glaubende Zahlen interessant. Ein menschlicher Körper besteht aus etwa 10 Billionen Körperzellen – und rund 100 Billionen Bakterienzellen. Letztere sind zwar viel kleiner als eine typische Körperzelle, aber immerhin bringen sie in der Summe bei einem Erwachsenen noch 2 bis 3 kg Masse auf die Waage. Die meisten Bakterien siedeln dabei im Magen-Darm-Trakt und sind für unser Leben essentiell. Aber auch unsere Haut und selbst die Zähne, wie jeder weiß, sind dicht mit Bakterien besiedelt. Insbesondere wäre ohne bakterielle Hilfe eine effektive Verdauung unserer Nahrung völlig unmöglich. Das bekannte Darmbakterium Escherichia coli ist dabei nur eines davon.

Genforscher haben weiterhin festgestellt, dass die den Menschen besiedelnden Mikroben mehr als drei Millionen Gene einbringen, die das Erbgut des Menschen um lebenswichtige Funktionen ergänzen. Alle diese Mikroorganismen – wahrscheinlich mehrere Tausend Arten (schwierig zu sagen, weil der Artbegriff aufgrund der Möglichkeit eines horizontalen Gentransfers bei Prokaryonten, zu denen Archaeen und Bakterien gehören, aufgeweicht und damit im Gegensatz zu Eukaryonten nicht eindeutig ist) – bilden das Mikrobiom des Menschen. Solch ein Mikrobiom unterscheidet sich dabei durchaus von Mensch zu Mensch. Aber auch jedes Lebensalter hat seine eigene Bakterienbesiedlung. Wissenschaftler sind heute sogar in der Lage, Mikrobiome nach gewissen Kriterien zu gruppieren, so dass man auf diese Weise sogenannte Enterotypen definieren kann. Unterschiedliche Menschen können dann unterschiedliche Enterotypen von Mikrobiomen besitzen, die sich sogar bewusst wechseln lassen, in dem man beispielsweise seine Ernährung von überwiegend Steaks auf überwiegend Spinat und Salat umstellt. 

Leider gibt es unter den vielen Bakterien auch einige wenige, die nach unserem Leben trachten. Dazu gehören (da in der Vergangenheit sehr prominent) das Bakterium Yersinia pestis, der von Flöhen übertragene Pesterreger, das Bakterium Corynebacterium diphtheriae, das noch vor über 150 Jahre die unheilbare, kindertötende Diphterie verursachte, und als letztes Beispiel der Milzbranderreger Bacillus anthracis, der eine unrühmliche Karriere als Biowaffe durchgemacht hat. Das trotzdem diese Krankheitserreger zu einem großen Teil ihren Schrecken verloren haben, verdanken wir der Arbeit vieler Mikrobiologen und forschenden Ärzten, von denen stellvertretend insbesondere Robert Koch (1843-1910), Emil Adolf von Behring (1854-1917) und Alexander Fleming (1881-1955) zu nennen sind. Letzterer fand mehr durch Zufall „die“ Waffe gegen bakterielle Infektionen aller Art und hat damit mittelbar unzähligen Menschen das Leben gerettet. Ich meine damit die Entdeckung der Stoffgruppe der Penicilline. Ihre eigentliche Bedeutung liegt darin, dass sie bei Bakterien nach deren Zellteilung das Wachstum der Zellwände behindern, wodurch die Bakterien infolge ihrer Volumenzunahme irgendwann platzen. Mit der industriellen Produktion dieser Wirkstoffe, die aus bestimmten Schimmelpilzen gewonnen werden, hatten die Mediziner ein äußerst wirksames Mittel in die Hand bekommen, das vielen bakteriellen Infektionskrankheiten den Schrecken genommen hat. Doch leider beginnt dieses Schwert stumpf zu werden. Genauso wie bei vielen anderen antibiotisch wirksamen Substanzen gibt es mittlerweile immer mehr krankmachende Bakterienstämme, die speziell gegen Penicilline (z. B. Penicillin G) oder ganz allgemein gegen alle möglichen Antibiotika resistent geworden sind. Manchmal hilft da zwar noch ein Mittel, wenn ein anderes nicht mehr hilft. 

Zeigt dagegen überhaupt kein Antibiotikum mehr Wirkung, dann spricht man von einem multiresistenten Bakterienstamm. Und diese sind, man muss es ehrlich sagen, quasi hausgemacht.

Die Entwicklung einer solchen Resistenz ergibt sich aus den Mechanismen der Darwin’schen Evolution und lässt sich im Rahmen der Evolutionsbiologie leicht erklären. Sie lehrt uns, dass Organismen, die sich am besten den äußeren Bedingungen anpassen können, auch am überlebenstüchtigsten sind und sich deshalb auch am stärksten vermehren. Wenn man also antibakteriell wirksame Substanzen zu oft oder nicht streng nach Vorschrift einsetzt (z. B. in der Tierhaltung), wird es immer ein paar Bakterienmutationen geben, die deren Wirkung überleben. Sie bilden mit diesem Vorteil eine Teilpopulation, in der diese Resistenz vererbt wird und die langsam alle anderen Teilpopulationen, die dieses Merkmal nicht aufweisen, verdrängen. Und genau das wird in Zukunft ein überaus ernstes Problem werden. Schon heute sterben allein in Deutschland jährlich um die 30.000 bis 40.000 Menschen an multiresistenten „Krankenhauskeimen“ - und die Zahl wird steigen, wenn es nicht gelingt, neue Stoffgruppen mit antibakterieller Wirkung zu entwickeln. Forschungen laufen in dieser Hinsicht - durchaus mit Erfolgen - auf Hochtouren. So arbeiten gegenwärtig weltweit rund sieben große und mehr als 20 kleine und mittlere Unternehmen an neuen Antibiotika (insbesondere Breitbandantibiotika) sowie anderen antibakteriell wirksamen Medikamenten. Aber ob es nachhaltig gelingen wird, das Rennen zwischen Hase (wir) und Igel (den multiresistenten Keimen) zu gewinnen, ist immer noch fraglich. Hier helfen genaugenommen nur ein äußerst verantwortungsvoller Umgang mit den vorhandenen Antibiotika sowie eine ergebnisorientierte Forschung weiter. Aber gerade Forschung im Pharmaziebereich ist äußerst aufwendig und extrem teuer. Das führt dazu, dass es auch heute noch für eine Vielzahl sehr seltener Krankheiten keine Arzneimittel gibt - einfach, weil sich damit kein Geld verdienen lässt. 

Aber das ändert sich langsam durch entsprechende Gesetzgebungsmaßnahmen, die Pharmaunternehmen, aber auch durch Steuergelder finanzierte Forschungseinrichtungen anregen bzw. sanft zwingen, nach derartigen, sogenannten „orphan drugs“, Ausschau zu halten. 

Ein instruktives Beispiel ist in diesem Fall die Entwicklung eines Impfstoffs gegen ein gewöhnlich nur selten in Afrika auftretendes hämorrhagisches Fieber - ich meine Ebola, welches nach einem Fluss in Kongo benannt ist. Wer an dieser Virusinfektion erkrankt (hier helfen primär keine Antibiotika - höchstens gegen Infekte, die sich in Folge des Krankheitsverlaufs einschleichen), leidet an extrem hohem Fieber, starkem Flüssigkeitsverlust, inneren Blutungen bis hin zu Organversagen, was die Todesrate davon infizierter Personen auf bis zu 90% ansteigen lässt. Als Viruserkrankung ist sie dabei noch hoch ansteckend, was ihre Behandlung weiter erschwert. Andererseits kam es in der Vergangenheit nur zu relativ kleinen lokalen Ausbrüchen in Afrika, bei denen nur einige Dutzend bis hin zu einigen Hundert, meist arme Menschen, betroffen waren - also genaugenommen keine Klientel, um Pharmariesen zu animieren, viel Geld in die Entwicklung eines wirksamen Ebola-Impfstoffs zu stecken. Das änderte sich aber schnell mit dem explosionsartigen Ausbruch der Seuche im Jahre 2014 in einigen Staaten Westafrikas und damit der Gefahr, dass sie auch in Europa oder Nordamerika eingeschleppt werden könnte. Zwar haben mittlerweile eine Vielzahl anderer Ereignisse Ebola aus den Schlagzeilen verdrängt, aber dafür ging es dann doch ziemlich schnell, einen zumindest experimentellen Impfstoff dagegen zu entwickeln. Und das war im Fall von Filoviren nicht ganz einfach und die Forscher mussten dabei tief in ihre molekularbiologische und biochemische Trickkiste greifen. Ziel eines Impfstoffes gegen Filoviren ist es, im menschlichen Körper die Produktion von sogenannten Antikörpern dagegen zu veranlassen. Das Grundprinzip ist von den Pocken her bekannt, einer Krankheit, die durch Impfung mittlerweile ausgerottet werden konnte. Es lautet „Täuschung“: Man täusche dem Immunsystem eine spezifische Virusinfektion vor und veranlasse es, entsprechende Antikörper zu bilden. Im Fall des Ebola-Virus spritzt man Menschen Viren, deren Erbgut man so verändert hat, dass sie lediglich aussehen wie ein echtes Ebola-Virus, aber nicht dessen Wirkung entfalten. Als Vehikel hat sich hier der Erreger des Schimpansen-Schnupfens als geeignet erwiesen (er wird von menschlichen Immunzellen nicht bekämpft), dessen Virushülle mit den Methoden der modernen Molekulargenetik mit speziellen Proteinen ausgestattet sind, die auch die Ebola-Viren in ihren Hüllen tragen. Die Antikörper, die sich in Reaktion auf dieses Virus im Menschen bilden, sind dann genauso wirksam bezüglich echter Ebola-Viren. Erste klinische Versuche sind, wie man lesen konnte, äußerst zufriedenstellend verlaufen und so hofft man, noch im Jahre 2017 einen wirksamen Ebola-Impfstoff herausgeben zu können. Trotzdem darf man nicht aus dem Augen verlieren, dass Ebola mit seinen ungefähr 22.000 Toten (2014 bis April 2015) im Vergleich mit den armutsassoziierten Krankheiten Malaria, Tuberkulose und Aids mit ihren weltweit mehr als 6 Millionen Toten doch relativ geringe Fallzahlen aufweist. Nur über Letztere, wahrscheinlich da sie in den hochentwickelten Industrienationen kaum mehr ein Problem darstellen, wird nicht oder nur selten berichtet. Dabei sind sie die eigentlichen „Killer“ (neben Bürgerkriegen etc.) der afrikanischen Bevölkerung.

Infektionskrankheiten können übrigens immense politische Auswirkungen haben. Das konnte man in den vor kurzem von Ebola heimgesuchten Ländern Guinea, Liberia und Sierra Leone in jeweils unterschiedlicher Art und Weise beobachten, je nachdem, wie leistungsfähig das jeweilige Gesundheitswesen war. 

In der Vergangenheit hat im Abendland insbesondere eine Krankheit die politische Landschaft entscheidend verändert, die Pest. Im Gegensatz zu den Pocken gibt es sie heute noch, ist aber in Ländern mit einem ausgebauten Gesundheitssystem und höheren hygienischen Standards eigentlich kein großes Problem mehr. 

Das war insbesondere im Mittelalter und frühen Neuzeit in Europa ganz anders, als wahre „Pestwellen“ durch die Länder schwappten und besonders in den Städten große Teile der Bevölkerung ausrotteten. Noch heute findet man in den Katakomben vieler Städte (z. B. Wien, Paris) Ossarien mit den Überresten zehntausender Pestopfer. Da man damals den Zusammenhang mit Rattenplagen (besonders in den Städten - Konstantinopel galt z. B. lange Zeit als Königreich der Ratten) nicht erkannte, wurde der „Schwarze Tod“ zumeist als Strafe Gottes angesehen und hingenommen. Das änderte sich erst im 15. und 16. Jahrhundert, als immer mehr Ärzte erkannten, dass es sich hier um eine von Ratten übertragene „ansteckende“ Krankheit handelt, vor der man sich nicht nur durch Flucht aufs Land schützen kann. Jedem, der sich für diese Materie interessiert, sind die „Pestmasken“ mit ihren vogelschnabelähnlichen Verlängerungen ein Begriff, die mit duftenden Kräutern gefüllt waren, um den Geruch der Pestilenz zumindest etwas abzuschwächen. Auch wurde das durchaus erfolgreiche Verfahren der Quarantäne entwickelt, um zumindest lokale Pestausbrüche einzudämmen. So beschloss im Jahre 1377 der Rat der Stadt Ragusa (das heutige Dubrovnik), dass alle Personen und Waren, die aus Orten kommen, in der die Pest wütet, einen Monat lang auf einer kleinen Insel vor der Stadt zu internieren sind. Ähnliches wird auch von Venedig und seiner „Pestinsel“ berichtet. 

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